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Wirbelschleppengefahr in Flörsheim – Verwaltungsgerichtshof lässt Flörsheimer im Stich

Mit Beschluss vom 29. Juli 2013 hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Antrag der Stadt Flörsheim und einer Flörsheimer Familie, die Landebahn Nordwest für Maschinen der Kategorie Heavy für Anflüge über Flörsheim zu sperren, abgewiesen. Im Rahmen einer Interessenabwägung gelangte der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass die beantragte Sperrung der Bahn einen schweren Eingriff in den Luftverkehr darstelle. Die Klammerung von Dächern sei ein geeignetes und auch verhältnismäßiges Mittel, um den von Wirbelschleppen ausgehenden Gefahren zu begegnen. Da die Fraport AG in Ergänzung zum Planergänzungsbeschluss vom 10. Mai 2013 ein Dachklammerungsprogramm aufgelegt habe, sei von einer schnellen und deutlichen Verringerung des Gefahrenpotentials auszugehen.


Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof zunächst festgestellt, dass auch in der Zukunft mit einer großen Gefahr von Wirbelschleppen zu rechnen sei und damit grundsätzlich auch das Risiko von Personenschäden durch herabfallende Dachziegel bestehe. Weiterhin führt er aus, dass auch von einer grundsätzlichen Gefahr für Leben und Gesundheit von Personen auszugehen sei. Ebenso hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Kausalität zwischen Wirbelschleppen und herabfallenden Ziegeln nach dem Ausschlussprinzip bejaht, da nicht erkennbar sei, welche anderen Ursachen für den Ziegelabwurf in Betracht kämen. Schließlich geht der Hessische Verwaltungsgerichtshof auch davon aus, dass das Wirbelschleppengutachten, das dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegen hat, eine fehlerhafte Prognose beinhaltet.

Die Annahme, das Dachklammerungsprogramm beseitige schnell das Gefahrenpotential durch Wirbelschleppen, verkennt allerdings die Realität. Bislang sind ca. 120 Anträge bei der Fraport AG auf Dachklammerung gestellt worden. Etwa 1.100 Hauseigentümer sind grundsätzlich antragsberechtigt. Am Tage der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs war erst ein (!) Dach geklammert worden. Ob und in welchem Umfang es zu weiteren Dachklammerungen kommen wird, ist ungewiss, da viele Flörsheimer Dächer bereits älter sind und eine Klammerung ohne Neueindeckung des Daches nicht möglich sein wird. Diese Kosten wird die Fraport AG nicht übernehmen. Ihre Zahlungsverpflichtung ist nach den eigenen Ausführungsbestimmungen auf die eigentliche Klammerung der Dachziegel beschränkt. Wollen sich die Flörsheimer gegen herabstürzende Dachziegel schützen, müssen sie den Großteil der hohen Kosten selbst tragen, obwohl ihr Dach bauordnungsrechtlich einwandfrei ist. Das Dach wird nur dadurch zu einer Gefahr, weil es bei Nord- und Ostwind von ca. 350 Flugzeugen in einer Höhe von 250 bis 290 Meter überflogen wird. Wieder einmal wurde das Verursacherprinzip zu Gunsten des Flughafens und zu Lasten der Flughafenanwohner „auf den Kopf gestellt“. Die Wirksamkeit des Planergänzungsbeschlusses Dachklammerung ist allerdings Gegenstand mehrerer gesonderter Klagen vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. In seinem Beschluss vom 29. Juli 2013 hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof zumindest schon einmal angedeutet, dass die Stichtagsregelung im Planergänzungsbeschluss unwirksam sei. Danach sollen Hauseigentümer keinen Anspruch auf eine von Fraport finanzierte Dachklammerung haben, wenn ihr Haus nach dem 23. März 2007 errichtet worden ist. Auch müsse durch Sachverständigengutachten geklärt werden, ob die Größe des Dachsicherungsgebiets richtig bemessen sei.

Wie aber konnte es dazu kommen, dass eine Landebahn gebaut und in Betrieb genommen wird, die das erhebliche Risiko birgt, dass Menschen durch herabfallende Dachziegel verletzt oder gar getötet werden können.

Es war am 30. November 2011, als in Flörsheim erstmals Ziegel von einer Wirbelschleppe aus einem Dach gerissen und auf einen Gehweg
geschleudert wurden. Wenige Tage zuvor, am 21. Oktober 2011 war die Landebahn Nordwest eröffnet worden. Flörsheim wird seither bei Ost- und Nordwind in einer Höhe zwischen 250 und 290 Metern überflogen. Offiziell sind zwischenzeitlich 16 Wirbelschleppenschäden bekannt. Die Dunkelziffer ist höher. Der gefährlichste Vorfall ereignete sich am 5. April 2013, als die Dächer der Häuser Plattstraße 39 und Maler-Schütz-Straße 14 in Flörsheim von einer Wirbelschleppe gepackt wurden. Bei der Plattstraße handelt es sich um eine Kinderspielstraße. Die Dachziegel wurden auf einen Bereich des Gehwegs geschleudert, auf dem zuvor noch Kinder gespielt hatten. Die Reste von Malkreide schimmerten unter den zerborstenen Dachziegeln durch. Im Hinterhof hatten Dachziegel das Vordach des Hauses durchschlagen. Es ist bislang einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass keine Menschen verletzt oder gar getötet wurden. Dabei wirken Wirbelschleppen bis auf den Boden und haben bereits schwere Blumentröge umgeworfen und ein Ruderboot auf dem Main fast zum kentern gebracht. Man mag sich nicht vorstellen, welche Folgen es haben kann, wenn ein Kleinkind von einer Wirbelschleppe gepackt wird.

Doch wie war es möglich, eine Landebahn zu genehmigen, von der eine derartige Gefahr ausgeht. Dem Planfeststellungsbeschluss zum Bau der Landebahn Nordwest liegt ein Wirbelschleppengutachten der Fraport AG zugrunde, das die Prognose erstellt hatte, das frühestens in zehn Millionen Jahren (!) mit einem Wirbelschleppschaden in Flörsheim zu rechnen sei. Die Hessische Landesregierung hat dieses Gutachten – wie viele andere Gutachten auch – kritiklos im Planfeststellungsbeschluss (S. 654) übernommen. Es ist offensichtlich, dass das Wirbelschleppengutachten die Realität vollkommen verkannt hat.

Dabei unterliegt es keinem Zweifel, dass für die Stärke einer Wirbelschleppe das zugrunde gelegte Gewicht der landenden Flugzeuge entscheidend ist. Wie sich jetzt herausgestellt hat, sind die wesentlichen Flugzeuggewichte, auf denen das Wirbelschleppengutachten beruht, in geradezu unglaublicher Weise falsch.

Der Gutachter gab an, das Landegewicht aus dem Betriebsleergewicht errechnet zu haben, dem er 50% der maximalen Nutzlast und die vorgesehene Reservekraftstoffmenge des Flugzeugs hinzu addiert habe (sog. modelliertes Landegewicht).

Für die Boeing 777-300 wird ein modelliertes Landegewicht von 156.000 Kilogramm und für den Airbus 340-600 ein modelliertes Landegewicht von 173.244 Kilogramm im Gutachten ausgewiesen. Wie sich aus den Herstellerangaben von Boeing und Airbus ergibt, haben beide Flugzeugtypen jedoch bereits ein höheres Betriebsleergewicht. Die Boeing 777-300 wiegt im Leerzustand ca. 160.000 Kilogramm, der Airbus 340-600 ca. 177.000 Kilogramm. In der Sache geht das Wirbelschleppengutachten also davon aus, dass die Flugzeugtypen Boeing 700-300 und der Airbus 340-600 leer und – da das „modellierte Landegewicht“ noch unter den errechneten Betriebsleergewichten liegt – offenbar ohne Sitze über Flörsheim einfliegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Boeing 777-300 und dem Airbus 340-600 um die schwersten Flugzeuge handelt, die auf der Landebahn Nordwest zugelassen sind. Von diesen beiden Flugzeugen geht daher die größte Gefahr aus, Wirbelschleppen zu erzeugen.

Dabei landen nach Angaben aus dem Pilotenumfeld ca. 30% der schweren Interkontinentalmaschinen, zu denen der Airbus 340-600 und die Boeing 777-300 gehören, mit dem Maximallandegewicht. Dieses beträgt für den Airbus 340-600 254.000 Kilogramm und liegt damit fast 50% über dem Gewicht, das der Wirbelschleppengutachter der Fraport AG als modelliertes Landegewicht für dieses Flugzeug „errechnet“ hatte. Das maximale Landegewicht des Airbus 340-600 hatte auch der Wirbelschleppengutachter für den Ausbau des Münchener Flughafens angesetzt.

Nachdem diese Täuschungen „aufgeflogen“ waren, hat der Wirbelschleppen-Gutachter der Fraport AG eine ergänzende Stellungnahme zum Wirbelschleppengutachten abgegeben. In dieser behauptet er, dass sich die oben genannten Gewichtsangaben entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Gutachtens nicht auf die konkret benannten Flugzeuge (Airbus 340-600 und Boeing 777-300) bezögen. Vielmehr seien für alle Flugzeugklassen Durchschnittslandegewichte „gemittelt“ worden. In der Berechnung des durchschnittlichen Landegewichts seien der Airbus 340-600 und die Boeing 777-300 mit ihren korrekt modellierten (besser wohl: manipulierten) Landegewichten berücksichtigt worden. Aber selbst wenn man einmal diese offensichtliche Schutzbehauptung als wahr unterstellt, liegen die „gemittelten“ Landegewichte unter dem Betriebsleergewicht des Airbus 340-600 und der Boeing 777-300. Gerade von diesen beiden Flugzeugtypen geht aber eine erhebliche Gefahr von Wirbelschleppen aus.

Es ist offensichtlich, dass der Wirbelschleppengutachter der Fraport AG das Ziel verfolgte, gerade die Gewichte der schwersten Maschinen „kleinzurechnen“ um auf diese Weise ein Wirbelschleppenrisiko auszuschließen. Die Gesetze der Physik ließen sich allerdings nicht austricksen. Bereits neun Tage nach Eröffnung der Landebahn Nordwest war das Fraport-Gutachten als grob fehlerhaft entlarvt worden. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die politische Entscheidung über den Bau der Landebahn Nordwest bereits im Jahr 2000 gefallen ist. Das Wirbelschleppengutachten ist erst Ende 2006 angefertigt worden. Es ist offensichtlich, dass die „Berechnungen“ zum Wirbelschleppenrisiko entsprechend angefertigt wurden, damit sie dem Bau der Landebahn Nordwest nicht entgegenstanden.

Im Zusammenhang mit der Wirbelschleppenproblematik ist darauf hinzuweisen, dass die Staatsanwaltschaft Wiesbaden ein Ermittlungsverfahren gegen Fraport-Chef Dr. Stefan Schulte eingeleitet hat.
Dieses umfasst sowohl den Vorwurf der Körperverletzung durch Fluglärm als auch den Vorwurf der versuchten Körperverletzung durch Wirbelschleppen. In den Anzeigen wird der Fraport AG, dessen Vorstandsvorsitzender Herr Dr. Schulte ist, vorgeworfen, den Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens durch manipulierte Gutachten erschlichen zu haben. Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass die hessische Justiz diesen Vorwürfen energisch nachgehen wird.