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Initiative gegen Fluglärm Mainz

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof kippt die Südumfliegung

Das höchste Verwaltungsgericht Hessens hat die Südumfliegung am Frankfurter Flughafen für rechtswidrig erklärt. Mit seinem Urteil gab der 9. Senat den Klagen der Stadt Groß-Gerau, der Gemeinden Trebur und Nauheim sowie fünf Gemeinden in Rheinland-Pfalz und mehrerer Privatkläger statt. Die Südumfliegung sieht vor, bei Westbetrieb Flüge nach Nordwesten, etwa mit dem Ziel England oder Nordamerika, zunächst über Nauheim, Trebur und sodann über die südlichen Stadtteile von Mainz und Rheinhessen zu führen, ehe die Maschinen schließlich nach Norden und Nordwesten schwenken. Hierdurch waren neue, ganz erhebliche Lärmbelastungen entstanden.


Dieser Lärm war aber nicht das entscheidende Argument für das Urteil. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof Hessen hatte die Vorsitzende Richterin geäußert, dass bei der Planung von Flugrouten zwar ein weiter Ermessungsspielraum bestehe, aber die Festlegung der Route nicht willkürlich erfolgen dürfe. Die entscheidenden Maßstäbe seien die Sicherheit der Strecke und ihre Eignung, den gewünschten Verkehr flüssig abzuwickeln. Daran hake es ganz offensichtlich bei der Südumfliegung. Der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Frankfurter Flughafens gehe von 126 Flugbewegungen pro Stunde aus. Um dieses angepeilte Volumen „sicher und flüssig“ abwickeln zu können, sei ein unabhängiger Parallelbetrieb mehrerer Start- und Landebahnen erforderlich. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erwies sich dies „als nicht realisierbar“ heißt es in der Pressemitteilung zum Urteil. Da das verfolgte Ziele (126 Flugbewegungen pro Stunde) mit der Südumfliegung nicht erreicht werden könnte, sei die Abwägungsentscheidung zugunsten der Südumfliegung „fehlerhaft“ und „willkürlich“, äußerte der 9. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs.

Unklar blieb, ob das Urteil von sofort an gilt. Richtig ist wohl, dass die Südumfliegung erst nach Rechtskraft der Entscheidung aufgehoben werden muss. Zwar hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Revision nicht zugelassen; das beklagte Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) kann allerdings eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegen. Wann dieses über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet ist offen. Es ist ein Zeitraum von 6 Monaten bis 3 Jahren möglich. Erst mit einer Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde – sofern diese eingelegt wird – tritt Rechtskraft des Urteils ein. Es ist allerdings davon auszugehen, dass das BAF allein aus taktischen Gründen eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegt, um Zeit für die neue Planung neuer Flugrouten zu gewinnen.

Wird das Urteil rechtskräftig, muss das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung eine neue Flugroutenplanung durchführen. Dabei ist allerdings offen, wie die neuen Flugrouten verlaufen werden. Die Vorsitzende Richterin hatte in der mündlichen Urteilsbegründung geäußert: „Damit ist nicht gesagt, dass es zu keinem ähnlichen Abflugverfahren kommen wird. Irgendwo werden die Flugzeuge fliegen müssen.“

Es ist deshalb möglich, dass eine neu geplante Abflugroute jedenfalls teilweise wieder über die Gemeinden führt, die den Prozess gestern gewonnen haben.

Insbesondere sahen auch andere Abflugvarianten, die das BAF im Zusammenhang mit der Südumfliegung geprüft hatte, Überflüge von südlichen Mainzer Stadtteilen und von Rheinhessen vor. Grausam könnte das Urteil für Raunheim und Flörsheim werden, wenn das BAF zu dem Ergebnis kommt, dass aus Sicherheitsgründen und zur zügigen und wirtschaftlichen Abwicklung des Flugverkehrs die Gemeinden Raunheim und Flörsheim überflogen werden müssen. Diese werden bereits bei Landeanflügen schwer belastet. Bei einem Überflug von Flörsheim und Raunheim würde allerdings das Raumverträglichkeitskonzept – das diesen Namen allerdings nicht verdient – des Planfeststellungsbeschlusses völlig in sich zusammenbrechen. Dieses sah nämlich vor, dass Gemeinden, die bei Anflügen schwer belastet werden, nicht auch von startenden Flugzeugen überflogen werden sollen. Welche Auswirkungen das Nichtfunktionieren der Südumfliegung für den Planfeststellungsbeschluss hat, ist offen. Richtigerweise hätte es in diesem Fall nie zur Genehmigung und zum Bau der Landebahn Nordwest kommen dürfen. Deshalb steht nach dem gestrigen Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Hessen endgültig fest, dass die Landebahn Nordwest eine Fehlplanung ist und geschlossen werden muss. Der Direktor des beklagten Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung, Prof. Dr. Nikolaus Hermann, sprach in der „hessenschau“ von einer einschneidenden Beschränkung des Flugbetriebs. „Wir müssen uns bereits jetzt überlegen, was für Lösungen in Betracht kommen, um immerhin gut und gern die Hälfte des abfliegenden Verkehrs bei bestimmten Wetterlagen abwickeln zu können.“

Die Reaktionen auf das Urteil waren unterschiedlich. Eine Übersicht entnehmen Sie dem heutigen Artikel in der Mainzer Allgemeine Zeitung. Sie reichten von großem Jubel bis hin zur Skepsis, da unklar ist, ob und in welchem Umfang künftig die selben oder andere Gebiete belastet werden. Dabei fiel auch die Reaktion in Wiesbaden kritisch aus. „Das ist auf jeden Fall keine gute Entscheidung für Wiesbaden“, sagte Wiesbadens Bürgermeister und Umweltdezernent Arno Goßmann (SPD). „Durch die Entscheidung könnten sich für Wiesbaden zusätzliche Belastungen ergeben. Dagegen werden wir uns mit allen Mitteln wehren“. Diese Äußerung ist entlarvend. Der neugewählte Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich hatte es abgelehnt, dem Bündnis der Oberbürgermeister aus Mainz, Frankfurt und Offenbach beizutreten, das sich für eine deutliche Lärmentlastung in der Region und insbesondere ein umfassendes Nachtflugverbot von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr einsetzt. Bislang war es in Wiesbaden – im Vergleich zu Mainz und vielen anderen Gemeinden – verhältnismäßig ruhig. Jetzt, wo die Gefahr besteht, dass eine Abflugroute Wiesbaden hart treffen könnte, kündigt der Wiesbadener Umweltdezernent an, sich mit allen Mitteln gegen die Zunahme von Fluglärm in Wiesbaden wehren zu wollen. Richtig wäre es, dass auch die Hessische SPD endlich einsieht, dass die Landebahn Nordwest eine Fehlplanung ist und deren Schließung fordert.

Abschließend muss auch angemahnt werden, dass sich die Fluglärmgegner nicht durch eine Lärmverteilungsdiskussion aus einander dividieren lassen. Der Protest gegen den Flughafenausbau lebt von der Solidarität aller Fluglärmgeplagten in der Rhein-Main-Spessart Region und muss gemeinsam fortgeführt werden.