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Initiative gegen Fluglärm Mainz

20.07.2012 Kategorie: Kolumne - Das Wichtigste in Kürze

Fraport fordert flexible Nachtflugzeiten

Als hätte das Bundesverwaltungsgericht Nachtflüge zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr nicht verboten, fordert Flughafenchef Stefan Schulte eine Aufweichung der strikten zeitlichen Grenze des Nachtflugverbots. Derzeit blieben am größten deutschen Drehkreuz nachts zu viele startklare Jets am Boden, weil die 23:00 Uhr-Grenze vom Land zu strikt ausgelegt werde.


Gönnt den Flughafenanwohnern keine ruhige Nacht: Fraport-Chef Dr. Stefan Schulte, Foto: Fraport AG

Gönnt den Flughafenanwohnern keine ruhige Nacht: Fraport-Chef Dr. Stefan Schulte, Foto: Fraport AG

Seit Oktober seien wegen der verweigerten Ausnahmegenehmigungen für 108 Starts bereits knapp 12.000 Passagiere in Frankfurt über Nacht hängen geblieben. Unerwähnt lässt Herr Schulte natürlich, dass es allein im Mai 2012 zu insgesamt 217 genehmigten Flügen nach 23:00 Uhr gekommen ist und das Nachtflugverbot durch einen Genehmigungsautomatismus der Hessischen Landesregierung faktisch ausgehöhlt wird. Während Fraport-Chef Stefan Schulte früher den Anwohnern des Flughafens noch sein Mitgefühl vorheuchelte, gönnt er Ihnen heute nicht einmal mehr eine sechsstündige Nachtruhe. Dabei wirft er in einem Interview mit der Allgemeine Zeitung Mainz vom 14. Juli 2012, auf das wir noch eingehen werden, den Fluglärmgegnern vor, Parlamentsbeschlüsse oder höchstrichterliche Entscheidungen nicht mehr zu akzeptieren.

Stefan Schulte leidet offenbar an einer besonders hartnäckigen Form der Realitätsverweigerung. Nicht die Flughafenanwohner, sondern Fraport-Chef Schulte und die „hinter ihm stehenden“ Fluggesellschaften weigern sich, das Nachtflugverbot zu akzeptieren und versuchen die Hessische Landesregierung immer wieder unter Druck zu setzen, um eine Höchstzahl von Ausnahmegenehmigungen für Starts nach 23:00 Uhr zu erlangen. Dabei befindet sich die Hessische Landesregierung aus ihrer Sicht in einem Dilemma.

Als größte Gesellschafterin der Fraport AG verdient sie letztlich über die Ausschüttung der Dividende an jeder Startgebühr. Die Verweigerung eines Starts führt natürlich zu einem Imageschaden des Flughafens und damit künftig zu einem möglichen Verlust von Passagieren, da sich inzwischen viele Reisende entschieden haben dürften, in den Nachtrandstunden nicht mehr über den Frankfurter Flughafen zu fliegen.

Dennoch ist die Hessische Landesregierung natürlich zu rechtmäßigem Handeln verpflichtet und darf sich bei ihren Entscheidungen nicht von den wirtschaftlichen Interessen von Fraport und den Fluggesellschaften leiten lassen. Um den Druck auf die Hessische Landesregierung zu erhöhen und „Stimmung“ gegen die Fluglärmgegner zu verbreiten, hat die Lufthansa AG im kommenden Winterflugplan die Langstreckenverbindung Frankfurt – Kapstadt gestrichen und bietet den Flug künftig von München aus an. Der Flug war ursprünglich im Winterflugplan um 22:40 Uhr (laut Fraport-Flugplan) vorgesehen. Es ist offensichtlich, dass es bereits bei kleinsten Problemen zu keinem Start mehr vor 23:00 Uhr kommen kann. Regelmäßig entsprechen die Abflugzeiten auch den Zeiten, zu denen das Flugzeug das Gate erst verlassen soll. 15 Minuten Rollzeit bis zum Abflugpunkt sind keine Seltenheit. Dies zeigt, wie risikobehaftet die Flugpläne der Lufthansa AG und anderer Fluggesellschaften sind und dass sich Verspätungen bei Flügen, die nach 22:00 Uhr vorgesehen sind, ausschließlich aus den Flugplänen ergeben.

Fraport und die Fluggesellschaften sind ganz offensichtlich davon ausgegangen, dass sich durch das Nachtflugverbot für Sie nichts ändern werde. Eine Ausdünnung des Flugplans hat nicht stattgefunden. Vielmehr hat man darauf vertraut, dass an der Mehrzahl der Tage alle Starts vor 23:00 Uhr abgewickelt werden können und sollte dies einmal nicht möglich sein, springe die Hessische Landesregierung mit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ein.

Alle Beteiligten haben offenbar den öffentlichen Druck unterschätzt, der maßgeblich durch die Bürgerinitiativen aufgebaut wurde und dazu führt, dass bei Infrastrukturprojekten der Hessischen Landesregierung bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen streng „auf die Finger geschaut“ wird. Man darf bereits gespannt sein, wie die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen im Winter gehandhabt wird.

Sollte es einen strengen Winter mit Frost geben, wird an unzähligen Tagen eine Enteisung der Flugzeuge erforderlich sein. Die Fluggesellschaften haben hierfür keinen Zeitpuffer im Winterflugplan eingeplant. Sie verlassen sich darauf, dass die Hessische Landesregierung Frost im Winter als ungewöhnliches Wetterereignis und eine etwaige Verspätung bei den Starts deshalb nicht als sich aus dem Flugplan ergebend bewertet. Selbstverständlich müssen derartige Witterungsbedingungen bei der Flugplanung Berücksichtigung finden.

Eine Lösung des Problems zugunsten der Flughafenanwohner könnte sich daraus ergeben, dass das Bundesverwaltungsgericht für die Ausnahmeregelungen im Urteil sogenannte „Segelanweisungen“ an die Hessische Landesregierung erteilt. Das Bundesverwaltungsgericht hat zumindest in der mündlichen Verhandlung die herausragende Bedeutung der Nachtruhe für die Flughafenanwohner hervorgehoben und dürfte wenig begeistert von der Genehmigungspraxis der Hessischen Landesregierung sein.