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 Im Terminal war kein Platz mehr und auch davor wurde es eng. |
Nichts ging mehr im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens am Samstagmittag. Mehr als 20.000 Menschen aus der ganzen Region waren zur bislang größten Demonstration gegen Fluglärm zum Frankfurter Flughafen gekommen. Bereits wenige Minuten nach Beginn der Veranstaltung mussten die Organisatoren der Großdemonstration, die einen Tag zuvor auf der Homepage der Fraport AG verniedlichend als „Kundgebung“ bezeichnet wurde, die Menschenmassen auffordern, den Terminal zu verlassen und aus Sicherheitsgründen die Demonstration draußen auf dem Flughafengelände fortsetzen. „Wir sind zu viele“ gab Michael Wilk ironisch über das Mikrofon bekannt. Unter ohrenbetäubendem Jubel und Getrommel begaben sich die Massen besonnen vor den Terminal, um von dort auf einem Rundweg um die Parkhäuser des Flughafens einen Demonstrationszug zu eröffnen. Dabei trugen Tausende Transparente mit sich, die an Kreativität den Fraport- und Lufthansa-Werbeanzeigen einiges voraushaben. Die Forderung nach der Stilllegung der Landebahn wurde in Sprechchören immer wieder erhoben. Als die ersten Demonstrationsteilnehmer wieder vor dem Terminal angelangt waren, hatten sich Tausende noch nicht einmal auf den eigentlichen Rundkurs des Demonstrationszuges begeben.
Wer vor Ort war und die Menschenmassen gesehen hat, kann über die Angaben zur Teilnehmerzahl durch die Polizei (7.500) und die Fraport AG (6.000) eigentlich nur lachen. Allerdings verfolgen derartige Aussagen das Ziel, den Protest in der Öffentlichkeit kleinzureden. Inzwischen ist auch in den Medien von 15.000 bis 20.000 Teilnehmern die Rede. Nicht nur unsere Bürgerinitiative hatte sich vor dem Hintergrund der falschen Zahlenangaben durch Fraport und Polizei veranlasst gesehen, in einer Pressemitteilung auf die weitaus höhere Zahl von Demonstrationsteilnehmern hinzuweisen.
Dabei ließen sich die Menschen auch nicht von einer sehr subtilen Warnung des hessischen Ministerpräsidenten von der Teilnahme an der Demonstration abhalten. In einem Interview mit dem Darmstädter Echo, das am Morgen des Demonstrationstages in vielen Tageszeitungen veröffentlicht wurde, äußerte der hessische Ministerpräsident:
„Wenn die Sicherheit der Passagiere und Gäste oder die Funktionstüchtigkeit des Flughafens gefährdet werden, dann kann man so etwas nicht mehr machen“. Weiter führte er aus: „Eine gewalttätige Auseinandersetzung darf es in einem zivilisierten Staat nicht geben.“
Es hatten bis zu diesem Zeitpunkt bereits neun Montagsdemonstrationen im Frankfurter Flughafen stattgefunden, die nach Polizeiangaben „friedlich“ und „ohne Zwischenfälle“ verlaufen waren. In Anbetracht dieser Tatsache waren die Äußerungen von Volker Bouffier nicht nur völlig unangebracht; sie verfolgten ausschließlich das Ziel, Menschen einzuschüchtern und von der Teilnahme an der Demonstration fernzuhalten. Derartige Äußerungen stellen einen Eingriff in das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar, der sich für einen hessischen Ministerpräsidenten nicht gehört.
Zudem blamierte sich Volker Bouffier in diesem Interview mit folgenden weiteren Ausführungen: „Ich begrüße, dass die Lärm-Gegner am Flughafen ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen dürfen. Dass eine Aktiengesellschaft wie die Fraport AG Demonstrationen auf ihrem eigenen Gelände erlaubt, dürfte auf der Welt ziemlich einmalig sein. Dies ist eine Form des Umgangs miteinander, die ich ausdrücklich begrüße“. Offenbar ist dem hessischen Ministerpräsidenten entgangen, dass das Bundesverfassungsgericht am 22. Februar 2011 entschieden hat, dass die Versammlungsfreiheit auch im Frankfurter Flughafen gilt. Grund hierfür ist letztlich die Mehrheitsbeteiligung an der Fraport AG durch das Land Hessen und der Stadt Frankfurt am Main. Die Demonstrationen im Frankfurter Flughafen bedürfen deshalb keiner Zustimmung der Fraport AG, die eine solche Zustimmung sicher auch nicht erteilen würde.
Es darf abschließend nicht unerwähnt bleiben, dass in ca. 400 bundesweiten Zeitungen und Online-Nachrichtendiensten über die Großdemonstration berichtet wurde. Auch ARD, ZDF und die privaten Sender berichteten im Fernsehen ausführlich hierüber (den Bericht der Tagesschau sehen Sie in der Mediathek).
Als Reaktion auf die Großdemonstration gab die hessische CDU-Spitze auf ihrer Klausurtagung am 5. Februar 2012 ein „Bekenntnis zum Flughafen-Ausbau“ ab. Lediglich am Rande wurden weitere Lärmschutz-Maßnahmen versprochen. Bei dieser Nachricht musste man an ein Plakat denken, das ein paar Demonstrationsteilnehmer am Samstag mit sich getragen hatten. Es zeigte die Gesichter des abgewählten Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus und des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Darüber stand geschrieben: „Zwei Männer – ein Schicksal?“ Etwa 1/3 der hessischen Wähler, die 2013 zur Wahl des hessischen Ministerpräsidenten aufgerufen sind, haben unter dem Fluglärm im Rhein-Main-Gebiet zu leiden. Weitere Fluglärmgeschädigte leben in der Region Kassel. Vom Regionalflughafen Kassel-Calden werden ab 2013 die Urlaubsflieger nach ganz Europa abheben.
Wie groß der Druck auf die Politik und die Fraport AG inzwischen geworden ist, zeigen die gegenseitigen „Schuldzuweisungen“ für den Bau der Landebahn und die damit einhergehende Verlärmung unserer Region. In einem FAZ-Artikel vom 3. Februar 2012 wies der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Klaus-Dieter Scheuerle, darauf hin, dass nicht der Bund über die Betriebszeiten und die Verwendung der Kapazitäten eines Flughafens zu bestimmen habe. Dies sei Sache des Landes und der Planfeststellungsbehörde. Im selben Artikel erklärte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutsche Flugsicherung, Dieter Kaden, dass „der Flughafenbetreiber Fraport den Ausbauentschluss gefasst und die Lage der Bahn bestimmt habe. Die Rolle der DFS sei es, auf der Basis dieser Begebenheiten den Flugverkehr sicher und mit möglichst geringem Lärm zu managen, nicht mehr und nicht weniger.“ Bereits ein paar Tage zuvor hatte der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch erklärt, mit dem Bau der Landebahn habe man das Luftverkehrskonzept der von Gerhard Schröder und Joschka Fischer damals geführten Bundesregierung umsetzen müssen. In einer E-Mail an unsere Bürgerinitiative teilte der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Herr Stefan Schulte am 3. Februar 2012 mit, dass er um „Verständnis bitte, dass Fraport „nur“ der Flughafenbetreiber und nicht die Fluggesellschaft und auch nicht die Flugsicherung sei“. Man könnte fast meinen, die Landebahn habe sich von selbst gebaut. Auch wenn in einem angesichts derartiger Äußerungen die Wut hoch kocht, zeigen sie doch, dass wir auf einem richtigen Weg sind.
Vielleicht etwas überraschend hat die Anti-Fluglärm-Bewegung Unterstützung von den rhein-hessischen Unternehmen erhalten. Wie die Mainzer Allgemeine Zeitung am 3. Februar 2012 berichtete, sind bei der Industrie- und Handelskammer Rheinhessen nach Angaben des Hauptgeschäftsführers Richard Patzke bereits Beschwerden von Unternehmen eingegangen, wonach Beschäftigte unter dem Fluglärm stark litten. „Mitarbeiter sind übermüdet und belastet, weil durch die Lärmbelastung der Schlaf fehlt und die Situation zu Hause generell angespannt ist. Es gäbe bereits erste Betriebe, die mit den Gedanken spielen, im schlimmsten Fall ihren Standort zu verlegen, falls sich die Fluglärm-Situation nicht ändere“, so der IHK-Hauptgeschäftsführer weiter. Dabei mehren sich aus der regionalen Wirtschaft auch die Appelle an den Flughafenbetreiber Fraport, in der Lärmdebatte einen für alle Beteiligten tragbaren Kompromiss zu finden. Engelbert Günster, der Deutschland-Chef von Boehringer Ingelheim, äußerte, dass es nicht sein kann, dass für die Durchsetzung der strategischen Ziele der Fraport AG „eine ganze Region in Haftung genommen wird“. Es müsse „ernsthafte Versuche geben, zu sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Kompromissen zu kommen“, so Günster, der in Mainz lebt. Diesen klaren Worten ist nichts hinzuzufügen.
Es kann abschließend festgestellt werden, dass unsere Protestbewegung in allen Bereichen der Gesellschaft angekommen ist.