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Initiative gegen Fluglärm Mainz

30.08.2012 Kategorie: Kolumne - Das Wichtigste in Kürze

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und wie die weiteren Klageverfahren weitergehen

Am 16. August 2012 sind den Musterklägern die schriftlichen Urteilsgründe des Bundesverwaltungsgerichts zum Flughafenausbau zugestellt worden. Das Urteil umfasst 182 Seiten. In Anbetracht einer mehrmonatigen Bearbeitungsdauer – das Urteil war am 4. April 2012 verkündet worden – überrascht der (geringe) Umfang des Urteils in Juristenkreisen.


Mainz Oberstadt am 1. August 2012:  Um 5 Uhr wurde die Nacht zum Tag

Mainz Oberstadt am 1. August 2012: Um 5 Uhr wurde die Nacht zum Tag

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, die am 13. und 14. März 2012 stattfand, monatelang durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hessen, Prof. Dr. Rubel gemeinsam mit wissenschaftlichen Mitarbeitern (zum Bundesverwaltungsgericht entsandte Verwaltungsrichter) vorbereitet wurde. Prof. Dr. Rubel hatte in der mündlichen Verhandlung auch schon umfassend und detailliert zu allen rechtlichen Problemen Stellung genommen, die sich größtenteils in der schriftlichen Urteilsbegründung wiederfinden. Erhebliche Teile des Urteils wurden zudem aus dem erstinstanzlichen Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs schlicht übernommen. Nach Meinung verschiedener Richter sollte es möglich gewesen sein, die Urteilsgründe in längstens sechs Wochen fertig zu stellen. In Anbetracht der langen Bearbeitungsdauer war im Vorfeld der Zustellung der Urteilsgründe darüber spekuliert worden, dass das Urteil bis zu eintausend Seiten umfassen könnte. Es muss also entgegen unserer Aussage auf der Mitgliederversammlung schon als auffällig bezeichnet werden, dass das Gericht für die Abfassung von 182 Seiten Urteilsgründe nahezu 4 ½ Monate seit Verkündung des Urteils benötigte. Seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht waren sogar mehr als fünf Monate vergangen.

Das Urteil selbst bestätigt zunächst den Ausbau des Frankfurter Flughafens. In Bezug auf den schier unerträglichen Tageslärm verweist es auf die gesetzlichen Regelungen des Fluglärmgesetzes, das – ironisch formuliert – den Fluglärm, aber nicht die Menschen vor dem Fluglärm schützt. Hier kann den Anwohnern der Flughäfen nur der Gesetzgeber und damit die Politik weiterhelfen.

Sehr erwähnenswert ist allerdings ein Planungshindernis, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht auf S. 17 ff des Urteils befasst hat. Im Planfeststellungsbeschluss für den Bau der Startbahn 18 West vom 23. März 1971 fand sich nämlich die Aussage, „die Befürchtungen, dass später eine weitere Start- oder Landebahn – etwa parallel zur Startbahn 18 West – errichtet werden könnte, entbehren jeder Grundlage; die Genehmigung für eine solche Maßnahme werde auf keinen Fall erteilt. Bereits der Verwaltungsgerichtshof Kassel ging davon aus, dass diese Aussage der Ausbauplanung nicht als unüberwindliches Planungshindernis entgegenstand. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Auffassung bestätigt und insbesondere festgestellt, dass die damalige Hessische Landesregierung insoweit keine rechtswirksame Zusicherung oder Zusage gegeben habe, einen weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens künftig zu unterlassen. Vielmehr habe sie ihre Entscheidung über die Zulassung der Errichtung der Startbahn 18 West unter Berücksichtigung der dagegen erhobenen Einwendungen lediglich begründen wollen. Eine über die Wirkung der Planfeststellung hinausgehende und davon unabhängige Verpflichtungserklärung gegenüber den Anwohnern des Frankfurter Flughafens habe der Hessische Verwaltungsgerichtshof als Tatsacheninstanz nicht festgestellt. Diese Begründung ist erkennbar von dem Willen getragen, den Ausbau des Frankfurter Flughafens um jeden Preis durchzusetzen. Natürlich haben die Anwohner des Frankfurter Flughafens diese Passage im damaligen Planfeststellungsbeschluss dahingehend verstanden, dass der Bau der Startbahn 18 West die letzte Baumaßnahme am Frankfurter Flughafen darstellt, die zu einer Erhöhung des Flugverkehrs im Rhein-Main-Gebiet führt. Eine andere Auslegung ist geradezu abwegig.

Enttäuschend und unverständlich sind auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulassung von durchschnittlich 133 Flugbewegungen in den Nachtrandstunden 22.00 bis 23.00 Uhr und 5.00 bis 6.00 Uhr. Dieses Kontingent von 133 Flugbewegungen hält das Bundesverwaltungsgericht für „abgewogen“, um ein An- und Abschwellen des Lärms in den Nachtrandstunden zu gewährleisten. Dass dies nicht der Fall ist, belegen eindeutig die Aufzeichnungen des Deutscher Fluglärmdienst e.V. (www.dfld.de).
Unter dem Link „Messwerte“ kann man die Region Rhein-Main anklicken und gelangt sodann über den Link „Messstation“ zu mehr als 50 Lärmmessstationen im Rhein-Main-Gebiet. Dabei zeigen die Lärmmessstationen, die in den An- und Abflugschneisen des Frankfurter Flughafens liegen, dass bereits vor 5.00 Uhr aber auch nach 23.00 Uhr die „Nacht zum Tag“ gemacht wird und gerade kein langsames an- und abschwellen des Flugverkehrs stattfindet. Es kommt hinzu, dass nach 22.00 Uhr fast ausschließlich die Nordwestbahn angeflogen wird, da in dieser Zeit  derart viele Flieger starten, dass weder die Center- noch die Südbahn gleichzeitig für Landungen und Starts eingesetzt werden können. Dies hat auch die Deutsche Flugsicherung auf Anfrage bestätigt.

Eine Reduzierung des Flugkontingents sowie eine Steuerung der Flugbewegungen in den Nachtrandzeiten kann allerdings noch in den anhängigen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel erreicht werden.
Vor diesem sind noch ca. 260 Klagen anhängig. Ursprünglich hatten mehr als 270 Privatpersonen, Kommunen, Kliniken und Unternehmen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss erhoben. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine bestimmte Anzahl von Verfahren zu Musterverfahren zu erklären. Dabei ging er davon aus, dass in diesen Verfahren die Mehrzahl der entscheidenden Sachverhaltsfragen und Rechtsprobleme abgehandelt werden könne. Nachdem diese Verfahren rechtskräftig entschieden sind, müssen die ca. 260 ruhenden Verfahren wieder aufgerufen werden. Dies wird voraussichtlich im Januar 2013 geschehen. Bis dahin geht es darum, dass die Kläger in diesen noch anhängigen Verfahren darlegen, dass sich ihre Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von den Verfahren unterscheiden, die bereits vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wurden. Dabei kann der Hessische Verwaltungsgerichtshof die noch anhängigen Klagen nur durch einstimmigen Beschluss aller Richter des Senats zurückweisen. Geschieht dies nicht, muss der Hessische Verwaltungsgerichtshof in die mündliche Verhandlung eintreten und neuen Tatsachenvortrag der Kläger berücksichtigen. Dabei kann es sein, dass einzelne Kläger außerhalb der verhandelten Musterklagen bereits sehr substantiiert unter Vorlage der Aufzeichnungen des Deutschen Fluglärmdienstes vorgetragen haben, dass das Kontingent von 133 Flügen in den Nachtrandstunden nicht automatisch ein An- und Abschwellen des Flugverkehrs ermöglicht. Aber auch Kläger, die bislang nicht derart detailliert vorgetragen haben, können diesen Vortrag nachholen. Ob und in welchem Umfang Flugbewegungen in den Nachtrandstunden zugelassen werden, ist also nicht rechtskräftig entschieden.

Ohnehin haben die Eheleute Herrlein, die seit 37 Jahren auf dem Frankfurter Lerchesberg wohnen und seit Eröffnung der neuen Landebahn direkt unter der Einflugschneise leben, die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde angekündigt. Sie haben hierfür den wohl bekanntesten Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Verfassungsrechts, den Stuttgarter Anwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck beauftragt. Weitere Privatkläger aus Kelsterbach sowie die Stadt Offenbach haben die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde angekündigt. Hierfür verbleibt den Klägern eine Monatsfrist seit Zustellung des Urteils am 16. August 2012.

Als verspätet hat das Bundesverwaltungsgericht neuen Vortrag eines Klägers zu den Schadstoffgutachten zurückgewiesen, die dem Ausbau des Frankfurter Flughafens zugrunde lagen.
Dabei ging es insbesondere darum, ob unter Zugrundelegung zweier Gutachten der Universitätsklinik Kiel vom Juli 1999 und Dezember 1999, die der Hessischen Landesregierung vorlagen, strengere Anforderungen an den Betrieb des Frankfurter Flughafens gerichtet werden müssen. Immerhin führt das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Problematik folgendes aus:

„Zur Klärung der Frage, ob die Planfeststellungsbehörde verpflichtet gewesen wäre, diese Gutachten anstelle des Gutachtens G14 (Anmerkung: später angefertigtes und der Planfeststellung zugrunde gelegtes Schadstoffgutachten) ihrer Entscheidung zugrunde zu legen, müsste der Senat zur weiteren Sachaufklärung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverweisen.“

Auch insoweit besteht für die Kläger in den noch anhängigen Verfahren die Möglichkeit, ergänzend vorzutragen, soweit dies noch nicht geschehen ist. Dieser Vortrag kann nicht als verspätet zurückgewiesen werden.

Schließlich bietet der Richterspruch Gewerbetreibenden neue Munition.
Auch Gewerbebetriebe haben ein Recht auf Schallschutz. Insoweit ist das Hessische Wirtschafts- und Verkehrsministerium zu einer neuen Entscheidung über den Schallschutz für Gewerbegrundstücke verpflichtet worden. Ebenso rügte das Bundesverwaltungsgericht, dass der Planfeststellungsbeschluss keine Entschädigungsleistung für die Beeinträchtigung gewerblicher Außenflächen und einer Entschädigung für das Ausbleiben von Kunden als Folge des Fluglärms festsetzt. Dies wird den Ausbau des Flughafens weiter verteuern und die Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Ausbaus erhöhen. Zwar ist es der Fraport AG im Juli 2012 erstmals gelungen, die Anzahl der Flugbewegungen gegenüber dem Vorjahresmonat geringfügig um ca. 1 Prozent zu erhöhen. Auf Jahressicht liegt die Anzahl der Flugbewegungen immer noch unter dem Vorjahreszeitraum. Auch die Pünktlichkeitswerte liegen nicht über dem Vorjahr. Der Anstieg der Passagierzahlen ist durch den Einsatz größerer Flugzeuge und einer Erhöhung der Sitzplatzauslastung eingetreten, die bei vielen Kurz- und Mittelstreckenflügen aber immer noch teils deutlich unter 50 Prozent liegt.

Fazit: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist für die fluglärmgeplagten Anwohner des Frankfurter Flughafens eine Enttäuschung. Die Gesundheitsgefahren durch den Tageslärm könne nur durch den Gesetzgeber reduziert werden. Dabei besteht allerdings auch für die Hessische Landesregierung jederzeit die Möglichkeit, in die bestehende Betriebserlaubnis einzugreifen und die Anzahl der zugelassenen Flugbewegungen deutlich zu reduzieren und insbesondere ein umfassendes Nachtflugverbot von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zu regeln. Aus diesem Grunde ist den Hessischen Landtagswahlen und den Bundestagswahlen im Herbst 2013 größte Bedeutung beizumessen. Der Druck auf die Politik durch die Anwohner des Flughafens und die Ärzteschaft muss aufrechterhalten werden. Aus diesem Grunde mahnen wir alle Fluglärmgeplagten eindringlich an, weiterhin oder zukünftig wieder an den Montagsdemonstrationen am Frankfurter Flughafen teilzunehmen.