facebook YouTube

Initiative gegen Fluglärm Mainz

15.05.2013 Kategorie: Kolumne - Das Wichtigste in Kürze

Risiko Wirbelschleppen und die Fehlprognose des Fraport-Gutachters

Die Auswirkungen von Wirbelschleppen werden im Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens auf lediglich vier (Seiten 652-656) von mehr als 2.500 Seiten abgehandelt. Die Fraport AG hatte ein Gutachten zum Wirbelschleppenrisiko vorgelegt, dem sich das hessische Verkehrsministerium und die Verwaltungsgerichte angeschlossen hatten. Die Planfeststellung der Landebahn Nordwest beruht auf der Annahme, dass sich in Flörsheim in 10 Millionen Jahren einmal ein Wirbelschleppenereignis mit Gefährdungspotential ereignen könne. Die der angegriffenen Planfeststellung zugrundeliegende Wirbelschleppenprognose hat die Wirklichkeit damit vollständig verkannt. Ihr Ergebnis liegt um mindestens den Faktor 107 (10 Millionen!) neben der Realität.


Ihm könnten die Ziegel sein Amt kosten – der hessische Verkehrsminister Florian Rentsch, Foto: FDP-Landtagsfraktion

Ihm könnten die Ziegel sein Amt kosten – der hessische Verkehrsminister Florian Rentsch, Foto: FDP-Landtagsfraktion

Seit Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest am 21. Oktober 2011 ereigneten sich im Bereich der Anfluggrundlinie der Landebahn Nordwest in Flörsheim zahlreiche Vorfälle, bei denen die von überfliegenden Flugzeugen ausgehenden Wirbelschleppen nicht nur Dächer und Gegenstände beschädigten, sondern konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen verursachten. Im Zeitraum vom 30. Oktober 2012 bis 6. April 2013 kam es in Flörsheim zu mindestens 14 Wirbelschleppenereignissen, bei denen Dächer von Wohnhäusern beschädigt und Teile der Dacheindeckung auf die Straße geschleudert wurden. Einzelne Ziegel hatten ein Gewicht von bis zu 6 Kg und waren zuvor sicher auf dem Dach verankert gewesen.

Es war allein einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass sich keine Menschen auf den Absturzflächen der Ziegel befanden. Besonders tückisch ist, dass die von den herabgeworfenen Ziegeln ausgehende tödliche Gefahr für Menschen nicht erkennbar ist. Die Wucht der Wirbelschleppen hatte sogar 4 m² eines neuen Schieferdaches abgedeckt, wobei die betroffenen Schieferplatten mit jeweils zwei Kupfernägeln doppelt genagelt waren. Wirbelschleppen wirken sich auch am Boden aus und hatten am 5. April 2013 die Kraft, einen schweren Blumentrog, auf dem sich ein ungeöffneter Sack Gartenerde befand, umzuwerfen. Am 2. März 2013 hatte eine Wirbelschleppe beinahe ein Ruderboot auf den Main zum kentern gebracht. Dabei sind nicht nur die Einwohner von Flörsheim von Wirbelschleppen bedroht. Auch in Raunheim, das im Bereich der Anfluggrundlinie der Südbahn liegt, wurden nach Angaben der Stadt seit 2001 über 60 Fälle gezählt. Auch in Raunheim leben rund 10.000 Menschen in Gebieten, in denen Schäden durch Wirbelschleppen drohen.

Da sich Hessen im Wahlkampf befindet, eilte SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel eilig nach Flörsheim und Raunheim und forderte ein rasches Handeln von Behörden und Fraport, ohne dies allerdings zu konkretisieren. Der einzig wirksame Schutz der Einwohner von Flörsheim und Raunheim ist die Sperrung der Landebahnen für schwere Maschinen bei Betriebsrichtung Ost. Ein entsprechender Antrag der Gemeinde Flörsheim, die Landebahn Nordwest für derartige Flugzeuge zu sperren, wurde vom hessischen Verkehrsminister bislang noch nicht beschieden. Dieser sieht es nicht als erwiesen an, dass die Dachschäden durch Flugzeuge verursacht wurden und ordnete zunächst eine Untersuchung der Vorfälle an. Allerdings scheint Herr Rentsch zwischenzeitlich „kalte Füße“ bekommen zu haben. Am 24. April 2013 kündigte er an, ein Verfahren zur Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses einzuleiten, dass die Fraport AG verpflichtet, Dächer auf Kosten der Fraport AG gegen Wirbelschleppen landender Flugzeuge sichern zu lassen.

Um den 12. Mai 2013 wurde der Fraport AG eine entsprechende Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses zum Bau der neuen Landebahn vom Hessischen Verkehrsministerium zugestellt.
Darin wird die Gesellschaft verpflichtet, in bestimmten Gebieten und auf Wunsch der Grundstückseigentümer Dächer gegen Windböenschäden abzusichern, die durch Wirbelschleppen von Flugzeugen ausgelöst werden können. Dies soll allerdings nicht für Häuser gelten, die nach dem 23. März 2007 errichtet worden sind. Ab diesem Zeitpunkt sei bekannt gewesen, auf welche Anfluglinie die Flugzeuge die Nordwestbahn ansteuern. Da der Planfeststellungsbeschluss allerdings davon ausging, dass in Flörsheim faktisch kein Gefährdungspotential für Wirbelschleppen besteht, konnten die Bauherren bzw. Käufer der Häuser hierauf vertrauen. Eine Frist wird nicht gesetzt. Dass die Gefahrenlage bestehen bleibt, wenn ein Grundstückseigentümer die Sicherungsmaßnahme nicht durchführen lässt, bleibt unberücksichtigt. Zudem hat das Hessische Verkehrsministerium für Flörsheim und Raunheim lediglich einen engen Korridor festgelegt, in dem Häuser gesichert werden müssen. Der bisher schlimmste Vorfall, in denen bereits doppelt genagelte Schieferplatten auf die Straße geweht wurden, liegt mehrere hundert Meter außerhalb dieses Korridors. Bei dem Planergänzungsbeschluss handelt es sich offensichtlich um einen „Schnellschuss“ des Hessischen Verkehrsministeriums, der in dieser Form keinen dauerhaften Bestand haben wird. Er beseitigt auch nicht die akute Gefahrenlage, da es mehrere Jahre dauern kann bis etwa 2.000 Hausdächer gesichert wurden.

Zwischenzeitlich hatte die Fraport AG ein Inspektionsprogramm aufgelegt und erste Dächer durch Gutachter untersuchen lassen. Dabei sollen Mängel an einigen Dächern festgestellt worden sein, wobei die Gutachter die Dächer teils vom Boden aus „begutachteten“. Dies nahm die Fraport AG zum Anlass, verschiedene Hauseigentümer beim Kreisbauamt „anzuschwärzen“. Dieses hat sodann einige Hauseigentümer aufgefordert, die Mängel zu beseitigen. Die Fraport AG bezweckt mit dem Inspektionsprogramm offenbar, die Kosten für Dachreparaturen zum Schutz gegen Wirbelschleppen auf die Hauseigentümer abzuwälzen. Landrat Michael Cyrias (CDU) bedauert den Wortlaut der Briefe des Kreisbauamts, sprach von Missverständnissen und „deutete“ die Schreiben in „Informationsschreiben“ der Behörde um.

In den nächsten Monaten oder gar Jahren bleiben die Einwohner von Flörsheim und Raunheim jedenfalls gegen herabfallende Dachziegel ungeschützt. Eine Lösung für Wirbelschleppengefahren am Boden wird nicht einmal angestrebt. Die im Bodenbereich eingetretenen Schäden lassen jedoch erahnen, was kleinen Kindern oder älteren Menschen droht, wenn sie in den Sog eines Wirbelschleppe geraten. Auch das Wirbelschleppenrisiko zeigt, dass die Landebahn Nordwest raumunverträglich ist.

Aber wie konnte es zu einer solch gravierenden Fehleinschätzung des Gutachters zum Wirbelschleppenrisiko kommen?
Wesentlich für die Intensität einer Wirbelschleppe, die von einem Flugzeug im Anflug auf die Landebahn Nordwest erzeugt wird, ist seine Masse. Je schwerer das Luftfahrzeug ist, umso mehr Auftrieb muss es erzeugen und umso stärker ist die Intensität der Wirbel. Das Ergebnis einer Prognose über die Wirkungen von Wirbelschleppen hängt damit offenkundig und wesentlich davon ab, welche Flugzeugmassen in die Berechnung eingestellt werden. Im Zusammenhang mit dem angestrebten Ausbau des Münchener Flughafens haben die dortigen Gutachter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) beispielsweise die maximale Landemasse eines Airbus 340-600 mit 254.000 kg berechnet. Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Der Fraport-Gutachter setzte in seinem Gutachten für den Ausbau des Frankfurter Flughafens für den selben Flugzeugtyp ein Landegewicht von nur 173.244 Kg in seine Gleichung ein. Allein für diesen Flugzeugtyp ergibt sich mithin ein Masseunterschied von 46,6% mit signifikanten Auswirkungen auf die Prognosevorhersage. Den Gutachtern des DLR kann sicher auch schon eine gewisse Flughafenausbau-Freundlichkeit unterstellt werden. Das Fraport-Gutachten muss dann als reines Gefälligkeitsgutachten betrachtet werden, wobei der „Gutachter“ geradezu vorsätzlich Gesundheit und Leben der Flughafenanwohner gefährdet.

Es ist offensichtlich, dass das Wirbelschleppengutachten des Planfeststellungsbeschlusses falsch und die darauf basierenden Prognosen unbrauchbar sind. Es unterschätzt die Massen der landenden Flugzeuge wesentlich und kommt deshalb zu einer Gefahrenprognose, die, wie eingangs erwähnt, die Realität um mehr als 1:10 Millionen verkennt.
Mit diesem Thema wird sich der hessische Verwaltungsgerichtshof in den noch anhängigen Klagen beschäftigen müssen.